Österreich-Kolumne: Nix bleibt fix

vor 2 Tage 3

Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie das war, als ich vor ziemlich genau einem Jahr meine Arbeit als Österreich-Korrespondentin begann. Die konservative ÖVP, die Sozialdemokraten und die liberalen Neos waren gerade in jener Phase der Koalitionsverhandlungen, in der die meisten dachten, dass es jetzt nur mehr um das kleinteilige Ringen um Details gehe. Vom hektischen Berliner Leben kommend, dachte ich mir: Das wird ein gemütlicher Job.

Kurz nach Neujahr platzten dann die Verhandlungen für eine Koalition der Mitte-Parteien, Herbert Kickl von der extrem rechten FPÖ wurde mit der Regierungsbildung beauftragt und ich hatte eine wichtige Regel des Korrespondentendaseins gelernt: Die außergewöhnlichsten Dinge passieren genau dann, wenn man nicht damit rechnet. Zum Beispiel, dass selbst in einer auf dem Prinzip des Kompromisses errichteten politischen Architektur von einem Moment auf den anderen extreme Kräfte in die Nähe der Macht gelangen können.

Im Kleinen hatte Österreich da gewissermaßen die weltpolitische Entwicklung des Jahres 2025 vorweggenommen: dass nichts so sicher und stabil ist, wie es scheint. In den darauffolgenden Wochen wurde Donald Trump Präsident, die regelbasierte Weltordnung ist an ihrem Ende angelangt, und jetzt, kurz vor Jahresende, sind wir an einem Punkt, an dem die Trump-Administration gewissermaßen dazu aufruft, dass sich die Rechten aller EU-Länder vereinigen sollen. Einem geleakten Entwurf der National Security Strategy zufolge, dem Strategiepapier der US-Regierung, will man mit bestimmten europäischen Ländern enger zusammenarbeiten, um diese von der EU zu entfremden und die Union auf diese Art zu spalten.

Auf der Kandidatenliste stehen nicht nur Ungarn, Polen und Italien, deren Staats- und Regierungschefs schon länger die Nähe zu Trump suchen, sondern auch Österreich. Selbst wenn man nicht genau weiß, was es mit dem Entwurf des Papiers auf sich hat und warum er an die Öffentlichkeit kam, kann man sich doch ausrechnen, wo die Strategen Trumps das Potenzial sehen: bei der extrem rechten FPÖ, die in den später gescheiterten Regierungsverhandlungen mit der ÖVP klargemacht hat, wie wenig sie von den EU-Institutionen und den europäischen Werten an sich hält. In den Umfragen liegt die FPÖ seit Monaten bei rund 40 Prozent.

Hier schließt sich der Kreis der Unwägbarkeiten im Kleinen und Großen. Wenn ich eine Prognose für das neue Jahr abgeben darf: Es wird so weitergehen. Europa ist an einem Wendepunkt angelangt, an dem selbst das, was über Jahrzehnte stabil zu sein schien, fragil geworden ist, die europäischen Institutionen, die liberalen Demokratien. An dem die Dinge jederzeit eine vollkommen andere Richtung nehmen können.

Mein Blick wird sich in den kommenden Monaten unter anderem auf das Nachbarland Ungarn richten, das vor einer entscheidenden Wahl steht. Kann Viktor Orbáns erfolgreicher Konkurrent Péter Magyar die Herrschaft der Fidesz-Partei nach 15 Jahren beenden und das Land auf einen demokratischen Weg zurückführen? Oder wird Orbán alles, was man sich vorstellen oder auch nicht vorstellen kann, tun, um an der Macht zu bleiben? Das kleine Ungarn wird ein Gradmesser dafür werden, wie es in Zeiten wie diesen um das Herz der westlichen Demokratien bestellt ist: um freie Wahlen.

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