Der Holzboden auf der Bühne ist nur halb verlegt. Die Erde, die der Totengräber aus dem Grab schaufelt, ist mehr Häufchen als Haufen. Und die Schauspieler blicken in einen gleißenden Lichtkegel, der erbarmungslos auf ihre Häupter strahlt. Kein sanftes Umspielen der Silhouette, keine stimmungsvoll wechselnden Lichteffekte.
Der erste Warnstreik in der aktuellen Tarifrunde: Am vergangenen Montag haben die Mitarbeiter hinter der Bühne ihre Arbeit niedergelegt. Die Vorstellung von „Hamlet“ im Schauspielhaus Stuttgart kann zwar stattfinden, aber nur in abgespeckter Version.
„Man spart, man spart“, sagt Shakespeares Antiheld im Stück, als sich die Mutter zwei Monate nach dem Tod des Vaters, ehemals König von Dänemark, mit dessen Bruder Claudius vermählt. „Die Pasteten vom Leichenschmaus gab’s kalt zum Hochzeitsmahl“, verkündet der dänische Prinz, der sich für den Mord an seinem Vater rächen will und damit das ganze Königshaus ins Unglück stürzt.
Die Stadt holt zum Kahlschlag aus
Der Stuttgarter Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski hat selbst Regie geführt an diesem Abend. Ihn treiben momentan nicht nur Warnstreik und Inszenierung um. Die Stadt Stuttgart dreht den Kultureinrichtungen den Geldhahn zu. An diesem Freitag soll der neue Doppelhaushalt 2026/27 beschlossen werden, der massive Einsparungen im Kulturbereich vorsieht.
Auch Hamlet (Franz Pätzold) sinniert im gleichnamigen Stück über Geld.Toni Suter„Die Stadt Stuttgart holt jetzt zum Kahlschlag aus“, sagt Kosminski im Gespräch mit der F.A.Z. „Kürzungen während einer laufenden Spielzeit zeugen von echter Unkenntnis und bringen die Institutionen in große Nöte.“
Insgesamt müssen in Stuttgart rund 900 Millionen Euro eingespart werden, auch getrieben von unvorhergesehenen Einbrüchen bei der Gewerbesteuer. Stichwort: schwächelnde Autoindustrie. Neben der Kultur sind auch Bildung und Soziales von starken Kürzungen betroffen.
„Stuttgart befindet sich in einer akuten, ja historischen finanziellen Zwangslage“, erklärt Fabian Mayer (CDU), der als Erster Bürgermeister für die Kultur zuständig ist. „Die bei der Stadt erforderliche Haushaltskonsolidierung hat eine solche Dimension, dass leider kein Bereich außen vor gelassen werden kann. Dieser Prozess ist für alle Beteiligten schmerzhaft“, sagt Mayer.
Nach aktuellem Stand geht die Stadt von rund neun Millionen Euro aus, die im Kulturbereich eingespart werden müssen. Das entspricht rund sechs Prozent weniger Fördermitteln pro Jahr. Für manche Einrichtungen, besonders in der freien Theaterszene, ist das existenzbedrohend.
Ministerin Olschowski schaltet sich ein
Bastian Sistig vom Theater Rampe kritisiert, nicht in die Haushaltspläne einbezogen worden zu sein: „Uns wurde über das Jahr hinweg immer wieder signalisiert, dass die Haushaltslage schwierig wird. Aber es wurde lange nicht kommuniziert, was das in Zahlen konkret bedeutet.“
Bezeichnend ist vor allem, dass die Einsparungen vom ersten Januar an umgesetzt werden sollen. Für Sistig nahezu unmöglich: „Die nächste Spielzeit ist geplant, die Verträge sind geschlossen. Bei der übernächsten Spielzeit ist die Frage, wie wir das Programm in seiner Relevanz und auch überregionalen Bedeutung noch umsetzen können.“
Auch Petra Olschowski (Grüne), Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg, hat das Vorgehen der Stadt überrascht: „Es ist eine extreme politische Herausforderung, wenn ein Haushalt unter so hohem Kürzungsvorbehalt steht“, erklärt sie gegenüber der F.A.Z. „Gleichzeitig ist es auch für die Kultureinrichtungen schwierig, die Kürzungen so kurzfristig umzusetzen. Von diesem Freitag an bis zum ersten Januar etwas zu ändern, ist praktisch unmöglich.“
Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski kann das Vorgehen der Stadt nicht nachvollziehen.Björn KleinFür Institutionen, die zu einer Hälfte von der Stadt, zur anderen Hälfte vom Land finanziert werden, könnten sich die Kürzungsbeträge gar verdoppeln, denn das Land müsste die Kürzungen in gleicher Höhe mittragen. Die Württembergischen Staatstheater Stuttgart, zu denen die Staatsoper, das Ballett und das Schauspiel gehören, müssen deswegen damit rechnen, dass sich die Einsparungen von 4,4 Millionen Euro für 2026 und 4,6 Millionen Euro für 2027 auf das Doppelte erhöhen werden.
Olschowski versucht seitens des Landes, die Auswirkungen der Kürzungen abzufedern. „Wir sind mit dem Finanzministerium im Gespräch, um eine Übergangsphase zu schaffen, in der nicht beide Partner, also Stadt und Land, gleichzeitig kürzen“, sagt die Ministerin. „Wir müssen abwarten, was die Stadt am Freitag beschließt, aber ich bin zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden.“
Besonders die freie Szene ist bedroht
Einige Kultureinrichtungen finanzieren sich zudem durch eine Kombination aus Eigen- und Drittmitteln, also durch Einnahmen und den regulären städtischen Zuschuss einerseits, Fördergelder von Stiftungen und Kulturförderprogrammen andererseits. Das Problem: Um Drittmittel zu akquirieren, müssen die Einrichtungen meist 20 bis 30 Prozent an Eigenmitteln vorweisen.
Der Württembergische Kunstverein Stuttgart hat in einem offenen Brief angekündigt, bei einer Kürzung von sechs Prozent im Jahr 2026 auf 38.000 Euro aus dem städtischen Kulturetat verzichten zu müssen. Das hieße aber auch, bereits bewilligte Drittmittel in Höhe von 310.000 Euro zurückgeben zu müssen.
Das Theater Rampe verlöre mit 55.000 Euro mehr als die Hälfte seines Programmetats und könnte 350.000 Euro an Drittmitteln nicht mehr wie bisher einwerben, erklärt Bastian Sistig: „Ich verstehe, dass gespart werden muss. Das darf aber nicht dazu führen, dass Institutionen handlungsunfähig werden und kein Programm mehr machen können, dann bleibt nur noch eine leere Hülle.“
Eine halbe Million für eine Leuchtreklame
Ministerin Olschowksi möchte erreichen, dass die Eigenmittelregelung kurzfristig aufgeweicht wird: „Ich kann mir vorstellen, dass nicht alle, aber einige Stiftungen dazu bereit sind, die Regelungen für eine gewisse Zeit zu lockern, sodass die Kultureinrichtungen ihre Mittel abrufen können.“ Auch die Stadt gibt an, in Gesprächen mit Drittmittelgebern zu sein und mit „flexiblen und situationsangepassten Reaktionen“ zu rechnen.
Das größte Ärgernis im Haushaltsentwurf stellt für Sistig die Finanzierung des „Stuttgart Signs“ dar, einer Leuchtreklame, die den Tourismus fördern soll: „Ist nicht der Erhalt der Stuttgarter Kultur auch gutes Stadtmarketing? Das ist eine Prioritätensetzung, die ich falsch finde, wenn es heißt, bei der Jugendhilfe, der Kultur und den Bildungseinrichtungen sparen zu wollen, sich aber gleichzeitig solche Extras zu gönnen.“ Auch die Ministerin meint, man könne bezweifeln, „dass das Stuttgart-Symbol in diesen Zeiten ein gutes Signal nach außen ist“.
Mit den Anschaffungskosten von fast einer halben Million Euro könnten zum Beispiel die Einsparungen bei der Festivalförderung für das Jahr 2026 nahezu gedeckt werden. Die Kürzungen für die Festivals bewegen sich in den meisten Fällen zwischen 20 und 50 Prozent, bei manchen wird die Förderung sogar ganz gestrichen.
„Es ist leider erforderlich, Angebote wie Festivals, die zu einem gewissen Grad flexibler sind, gegenüber institutionellen Förderempfängern etwas stärker anzupassen“, sagt Bürgermeister Mayer. „Damit wird eine höhere prozentuale Belastung aller Kultureinrichtungen vermieden.“
Wo es große Einsparungen geben soll, da zeigt sich auch große Solidarität. Nach der „Hamlet“-Premiere Anfang Dezember hatten mehr als hundert Kulturschaffende auf der Bühne des Schauspielhauses proklamiert: „An Kultur, Bildung und Sozialem zu sparen, kostet zu viel!“ Vor und im Rathaus der Stadt wurde ebenfalls protestiert und Giuseppe Verdis Gefangenenchor aus der Oper „Nabucco“ angestimmt. Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) musste sich durch die Spalier stehende Menge den Weg zum Sitzungssaal bahnen.
Alles eine Frage des Geldes
Mehr als 36.000 Menschen haben schon eine Onlinepetition unterzeichnet. Eine analoge Liste mit weiteren 10.737 Unterschriften wurde am Donnerstag an Bürgermeister Mayer übergeben.
Bastian Sistig (rechts) übergibt Bürgermeister Fabian Mayer die gesammelten Unterschriften.Björn Klein„Sein oder Nichtsein“, das ist nicht nur in Stuttgart eine Frage des Geldes. Die Haushaltslage ist in vielen Kommunen angespannt. Auch den Kultureinrichtungen in Karlsruhe oder München drohen Kürzungen. Bastian Sistig plädiert für Kulturentwicklungspläne und eine Evaluation der Kulturförderung, wie es sie etwa in Hamburg oder Zürich gibt.
„Es ist bei allen Beteiligten ein Verständnis dafür da, dass man sparen muss“, sagt auch Schauspielintendant Kosminski. „Aber wir hätten uns gewünscht, dass ein Dialog geführt wird. Dass man sich zusammensetzt und gemeinsam Lösungen erarbeitet, um Synergien zu schaffen, etwa im sozialen Bereich oder bei der kulturellen Bildung. Das hat nicht stattgefunden. Deshalb gehen wir auf die Barrikaden.“
An diesem Freitag will der Gemeinderat bei der abschließenden dritten Lesung den neuen Doppelhaushalt beschließen, doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Das Regierungspräsidium muss den Haushalt erst noch genehmigen. Das Ringen um den Stellenwert der Stuttgarter Kultur geht in die nächste Runde.

vor 2 Tage
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