Es war nicht so, dass Ursina Lardi schon als Kind Schauspielerin werden wollte, wie etliche ihrer Kollegen. Zwar hat sie bereits damals Stücke geschrieben, inszeniert, die Hauptrollen übernommen – „und die Leute mussten natürlich Eintritt zahlen“. Aber dass man eine solche Vorliebe tatsächlich zum Beruf machen könnte, ahnte das spielfreudige Mädchen nicht.
Ursina Lardi, geboren 1970 in der Schweiz, absolvierte eine Ausbildung zur Primarschullehrerin, ehe sie sich nach ersten Erfahrungen in einer Laienspielgruppe in Chur ganz der Schauspielerei zuwandte. „Das Theater hat mich nicht mehr losgelassen“, erzählt sie in dem Dokumentarfilm „Ursina Lardi – Sein statt Schein“ von Sören Senn. Nach dem Studium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin und nach Jahren der Selbständigkeit ist sie seit 2012 Ensemblemitglied der Schaubühne Berlin.
Sie lässt die Kamera nahe an sich heran
Senns Film ist nicht hoch genug zu loben, schafft es der Schweizer Regisseur doch, etwas von der flüchtigen Kunst des Schauspielens einzufangen – indem er seine Protagonistin dafür gewinnen konnte, die Kamera sehr nahe an sich heranzulassen, und zwar im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Wir sehen Ursina Lardi nicht nur im Flugzeug oder in der Garderobe, sondern auch bei Proben, im Dialog mit Kollegen, Regisseuren, Technikern, mit Zuschauern nach der Aufführung, mal halbwegs genervt, meist gut gelaunt, neugierig und strahlend.
Offen spricht sie über Karriere und Kunst, über Figurengestaltungen, Zweifel, Hoffnungen – und wie sie sich in der Rolle der Baronin anfangs bei den Dreharbeiten zu dem preisgekrönten Film „Das weiße Band“ von Michael Haneke (2009) abplagte. Sie erklärt sich, sie denkt nach, sie lacht – und dann beobachtet man sie auf der Bühne und fragt sich, wie sie diese Balance zwischen Understatement und Verausgabung meistert, zwischen Hintersinn und Aberwitz, Widerstand und Fragilität. Wann und wie der göttliche Funke überspringt, der Theorie und Praxis, Denken und Tun im Theater oder vor der Kamera transzendiert, weiß niemand genau, und Sören Senn respektiert diese Unschärfe zum Glück. Dadurch bleibt das Rätsel ihrer Kunst unangetastet und wird nicht naseweis wegmoderiert.
Besprechung im Auto. Ursina Lardi mit dem Regisseur Milo Rau.ZDF/SRFJenseits privater Einblicke konzentriert sich der Film auf Ursina Lardis kreative Arbeit und speist sich aus der Spannung zwischen Wort und Szene. So schildert sie sachlich die schwierigen Recherchen im Irak für das Theaterstück „Die Seherin“ in der Regie von Milo Rau (2025), um danach das literarisch komprimierte Material auf der Bühne in eine faszinierende wie abgründige Studie über Gewalt in Krisengebieten zu transformieren. Und spielt – als Beispiel für die Rezeption in den Medien – eine Kriegsfotografin, die darüber berichtet. Das Publikum kann ohne Vorwissen einsteigen – und muss sich zu dem Geschehen verhalten.
Sie ist anspruchsvoll, aber keine Diva
„Theater – das ist immer Begegnung. Das hat ganz viel zu tun mit Sich-Einlassen auf den Moment. Ich guck’ die Leute einfach an, die da sind. Ich höre, was passiert hier, ich gucke wirklich hin“, sagt Ursina Lardi, „da habe ich schon einige Jahre gebraucht, um das zu können. Dass man nicht einfach reinkommt und liefert, sondern einfach erst mal da ist.“ Von ihrer phänomenalen Präsenz und Intensität schwärmen Regisseure wie Thomas Ostermeier, Milo Rau, Andreas Kleinert oder der Hollywood-Star William Dafoe, der im Sommer bei der Biennale in Venedig die Laudatio hielt, als sie mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet wurde.
Ursina Lardi ist anspruchsvoll, aber keine Diva, sie will begreifen und mitreden, nicht bloß engagiert werden. Wenn sie sich für ein Stück oder einen Film entscheidet, ist sie mit Haut und Haaren dabei. Der Regisseur Thorsten Lensing etwa weiß: „Was Ursina überhaupt nicht kennt, ist Schonung, Bequemlichkeit, sie gibt immer alles. Sie verschwendet sich förmlich.“
Kompetent, inspiriert und empathisch gelingt Sören Senn ein ungemein lebendiges, spannendes Porträt dieser Ausnahmeschauspielerin. Wie schwer ihre Kunst ist, die im Theater oder im Kino doch so leicht erscheint, wie hoch der Einsatz ist und wie sehr er sich lohnt, wird aus kurzer Distanz ersichtlich. Und man versteht Milo Rau, der sagt: „Man kann mit Lardi nicht scheitern.“
Ursina Lardi – Sein statt Schein läuft am Samstag um 22 Uhr bei 3sat und findet sich in der 3sat-Mediathek.

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