Dass der legendäre „Prince of Darkness“ auch ein König der selbstverschuldeten Desaster und ein Herzog der Selbstironie war, macht schon der Anfang seiner Autobiographie „Ozzy“ deutlich. Der Jugendliche aus schlichtem Birminghamer Fabrikarbeitermilieu rutschte in die Kleinkriminalität ab. Mehrfach stieg er in ein Bekleidungsgeschäft in der Nachbarschaft ein: „Ich dachte, großartig, das Zeug kann ich gleich drüben im Pub verhökern. Aber ich hatte vergessen, eine Taschenlampe mitzunehmen, und wie sich herausstellte, hatte ich mir lauter Lätzchen und Babykleidchen unter den Nagel gerissen. Da hätte ich genauso gut versuchen können, einen Hundehaufen an den Mann zu bringen.“ Bald wird er gefasst, weil er mit seinem beschädigten Handschuh auffällige Abdrücke hinterlassen hat. „Also ein Handschuh ohne Daumen. Wir sind nicht gerade Einstein, nicht wahr?“, meint der Polizist, der den künftigen Superstar in Handschellen abführt.
Eine Lektion im Gefängnis
Nein, Einstein war Ozzy Ozbourne nicht, obwohl er mit seiner Band Black Sabbath die Gravitationsgesetze der Popmusik mit einer neuen Formel von Masse und Energie revidierte – als Erfinder des Genres Heavy Metal in seiner schönsten, schleppenden Form. Obwohl – er mochte diese Bezeichnung nicht, sprach lieber von „Depression Rock“. Zur Depression hatte der junge Mann viele Gründe, nachdem er sich als Schlachter und Autohupenstimmer (eine grandiose Anekdote!) durchgeschlagen hatte und schließlich für drei Monate im Gefängnis gelandet war, weil sein Vater für ihn nicht die Geldbuße bezahlen wollte. „Du kannst die Lektion gut gebrauchen“, meinte er. Später spendierte er dem Sohn aber eine Gesangsanlage, die den Riffschmied Tony Iommi 1968 dazu bewegte, Ozzy als Sänger zu engagieren und seine erste Einschätzung zurückzunehmen: „Er war der Schulclown! Ich werde nicht mit diesem Vollidioten in einer Band spielen.“
Cover von „Ozzy“VerlagOzzy schont sich als Erzähler so wenig, wie er es als chronisch Süchtiger beim Konsum von Alkohol, Kokain und Tabletten getan hat. Sehr atmosphärisch erzählt er, wie Black Sabbath den düsteren Stil als Gegengift gegen die friedlich-verträumte Hippiemusik entwickelte, die schlecht ins zerbombte Nachkriegs-Birmingham mit seinen Kneipen voller kaputter Existenzen passte. „Blumen im Haar“ trug da niemand. Blumen des Bösen erblühten aber im ersten Album der Band. Über die dunkel-bedrohlichen Klänge erhob sich die markante, schneidend-greinende Stimme des vormaligen Lätzchendiebs. Der Ruhm kam schnell und mächtig, und mit ihm ein Reichtum, der die arme Seele überforderte. „Als ich ein Kind war, kauften mir meine Eltern nicht mal Unterwäsche. Sie sagten, das sei Geldverschwendung. Aber plötzlich konnte ich mir so viele Unterhosen leisten, wie ich wollte.“ Und dies war noch die harmloseste Versuchung.
Seine „extreme Toleranz“ gegenüber Betäubungsmitteln
Im vergangenen Juli ist Ozzy Osbourne gestorben, nachdem der Tod schon viele Jahre an seine Tür geklopft hatte. „Last Rites“, die Autobiographie seiner späten Jahre, konnte er kurz zuvor noch fertigstellen. Der Plot besteht im Wesentlichen darin, dass Ozzy seine Fans mit der Abschiedstournee „No More Tours II“ beglücken will, aber von seinem eigenen hinfälligen Körper immer von Neuem daran gehindert wird. Es beginnt mit einer lebensgefährlichen Staphylokokken-Infektion; die dick geschwollene Hand muss aufgeschnitten werden, Ozzy schreit vor Schmerz. So merkt der Arzt, dass er es mit einem wirklichen Rockstar zu tun hat, der eine „extreme Toleranz“ gegen Betäubungsmittel entwickelt hat.
Cover von „Last Rites“VerlagNoch düsterer als seine Songs gerät die Patientenakte: Parkinson, diverse Lungenentzündungen, ein Emphysem und eine schwere Blutvergiftung. Die wahre Kette der Demütigungen setzt aber mit einem grotesken Unfall im Jahr 2019 ein. Ozzy hechtet nach einem nächtlichen Gang zur Toilette wie gewohnt kopfüber ins Bett, verfehlt im Dunklen aber die Kingsize-Matratze. Ein weiteres Mal findet er sich in der Notaufnahme von Los Angeles inmitten unsäglichen menschlichen Elends. Fortan sind zahlreiche Wirbeloperationen nötig, und besser wird es nicht mehr. Nur die Zahl der Stangen, Platten und Schrauben in seinem Körper nimmt zu: „Ich war so voller Metall, dass ich annahm, nach meinem Tod wäre eine Beerdigung nicht nötig. Der Bestatter könnte mich einfach in einen Recycling-Container stopfen.“ Je weniger es zu lachen gibt, desto höher dosiert Ozzy beim Erzählen den Galgenhumor.
Reue ist nicht seine Sache
Die Lebendigkeit der mithilfe des Ko-Autors Chris Ayres verfassten Autobiographie verdankt sich dem mündlichen Duktus: drastisch und sensibel zugleich, bei aller Liebe zu starken Sprüchen frei von Floskeln, ohne Posertum und Stargehabe. Diese szenische Mündlichkeit kommt der Hörbuchform sehr entgegen. Und ein besserer Ozzy-Vorleser als der Schauspieler Stephan Benson ist nicht denkbar. Seine Stimme bewährt sich als maskuliner Bariton voller komödiantischer Untertöne. Damit macht er aus dem Text eine Performance. Kein Satz, aus dem er nicht alle Emotionen holen würde, die Ozzy hineingesteckt hat; keine gewitzte Formulierung, die er nicht durch seine Akzentuierungen zum Funkeln bringen würde wie die Brillanten der Osbournes.
Da ist zum Beispiel die Szene auf einem Flughafen in Texas. Ozzy quälen wieder einmal die Entzugserscheinungen, er rettet sich auf die Toilette, um schnell eine „ordentliche Dosis“ Kokain zu ziehen. Nur: In der Nebenkabine lässt sich in diesem Moment ein Polizist nieder, Ozzys Blick unter die Trennwand erhascht eine heruntergelassene Hose mit Pistolenhalfter und Handschellen. Lautes Schniefen wäre jetzt nicht gut. Benson vermittelt die Dringlichkeit der Lage mit seiner Stimme überaus nachdrücklich, erst recht wenn es heißt: „Dann hörte ich ein vertrautes Geräusch: das Umblättern von Seiten. Der Cop las ein verdammtes BUCH!“ Empörter hat nie jemand dieses schöne Wort betont.
Ozzy würdigt in seinen Bekenntnissen auch viele Bandkollegen und Wegbegleiter, allen voran seinen Ausnahmegitarristen Randy Rhoads, der bereits 1982 bei einem bizarren Flugzeugabsturz ums Leben kam. Dieser Verlust eines geliebten und hochbegabten Menschen war für ihn ein Trauma, das er nie bewältigen konnte. „Das war einer der Gründe, warum ich den Rest des Jahrzehnts damit verbrachte, mich halb totzusaufen.“ Während seiner Exzesse hat er viel Mist gebaut und im Wahn beinahe seine Ehefrau und Lebensmanagerin Sharon erwürgt. Auch wenn ihm vieles später „unendlich leid“ tat, letztlich ist Reue nicht seine Sache. Als Erzähler zelebriert er die Verfehlungen, weil sie nun einmal zu seinem Leben gehören.
Glückspilz und geplagter Hiob, Suchtkrüppel und Familienmensch, Sänger, der aus seiner Band geworfen wurde, um eine erfolgreiche Solokarriere zu starten, mit der er selbst am wenigsten gerechnet hätte, schließlich Fernsehstar, Sitcom-Clown und ein gerade wegen seiner Fehlbarkeit geliebtes Idol – das alles war Ozzy Osbourne, davon erzählt er, und dank Stephan Benson wird daraus ein großes, tragikomisches Hörvergnügen.
Ozzy Osbourne (mit Chris Ayes): „Last Rites“. Aus dem Englischen von H. Dedekind, H. Maillard, V. Topalova . Gelesen von Stephan Benson. Random House Audio, München 2025. 715 Min., Download, 21,99 €.
Ozzy Osbourne (mit Chris Ayes): „Ozzy.“ Aus dem Englischen von S. Gebauer, H. Schlatterer und V. Topalova. Gelesen von Stephan Benson. Random House Audio, München 2025. 905 Min., Download, 25,95 €.

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