Künstlerbücher: Diese Schatzsuche war erfolgreich

vor 2 Tage 3

Der Catalogue raisonné gilt als Goldstandard der kunstwissenschaftlichen Dokumentation. Idealtypisch verspricht er die vollständige Erfassung eines bestimmten Werkes und überdies, dass die Angaben auf Autopsie beruhen, also auf persönlicher Inaugenscheinnahme der erfassten Objekte. Hinzu tritt das Anliegen, das erfasste Œuvre zu strukturieren – etwa durch die Identifikation von Werkgruppen, Entstehungsprozessen oder Provenienzen.

Ein Genre mit speziellen Herausforderungen sind dabei Künstlerbücher. Schon bibliothekarischer Logik entziehen sie sich oft durch ihre Hybridnatur. Mal changieren sie zwischen traditionellem Buch und künstlerischem Artefakt, mal zwischen Unikat und seriellem Produkt. Wer in öffentlichen Bibliotheken nach Künstlerbüchern sucht, braucht Phantasie. Zuweilen werden sie wie Bücher erfasst; manchmal hingegen auch als „Grafiken“ oder „3D-Objekte“. Man braucht Geduld, um ihrer habhaft zu werden. Es ist wie bei einer Schatzsuche.

Ein Dilettant im besten Sinne

Einer soeben erschienenen „annotierten Bibliografie“ der Künstlerbücher von Per Kirkeby kommt vor diesem Hintergrund besonderes Gewicht zu. Kirkeby (1938–2018), von Haus aus Geologe, war einer der vielseitigsten und bekanntesten dänischen Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts: Maler, Bildhauer, Architekt und Poet zugleich. Bekannt wurde er vor allem durch seine ­farbintensiven Landschaftsmalereien und seine kantigen Backstein-Skulpturen. Eher im Schatten von Kirkebys Werk standen bisher seine Künstlerbücher, obschon er im Laufe eines halben Jahrhunderts nicht weniger als 121 solcher Werke schuf. Erstmals wird der bislang kaum überschaubare Korpus dieser Bücher jetzt bibliographisch sichtbar und erlaubt es, Entwicklungslinien nachzuvollziehen.

 „Artist Books 1965–2017“. Annotated Bibliography.Per Kirkeby: „Artist Books 1965–2017“. Annotated Bibliography.Buchhandlung Walter König

Thomas Eizenhöfer, dem die Bi­bliographie – ein Catalogue raisonné – zu verdanken ist, befasst sich seit Jahrzehnten mit Kirkeby. Eizenhöfer ist Chemiker, also ein Dilettant im ursprünglichen Sinne: ein Liebhaber, der aus Leidenschaft geforscht, gesammelt, geordnet und so eine Expertise gewonnen hat, die ihresgleichen sucht. Es überrascht daher nicht, dass er für die Publikation seines Buches den Verlag der Buchhandlung Walther König in Köln gewinnen konnte – ein für seine Kunstpublikationen international zu Recht geschätztes Haus.

Eizenhöfer hat seinen Katalog chronologisch aufgebaut. Jedes einzelne Stück ist bibliographisch detailliert vermessen. Zu jedem Werk gibt es eine konzise Inhaltsangabe. Alle Titelblätter sind in Farbe wiedergegeben. Einige Abbildungen gestatten Einblicke ins Innere der Bücher. Editorisch wird das alles höchsten Ansprüchen gerecht. Um den Nutzern einen analytischen Zugang zu seiner Chronologie zu ermöglichen, hat ­Eizenhöfer in einer ihr vorangestellten Einleitung aber auch Werkgruppen herausgearbeitet, die als Richtungsweiser dienen können.

„Essays ohne Worte“

Beschrieben wird der Weg von Kirkebys frühen experimentellen Büchern der Sechzigerjahre, die noch stark von Pop Art und Fluxus geprägt waren, hin zu den zahlreichen Bänden mit Gedichten und Essays, in denen er seine Rolle als „schreibender Maler“ und „Eklektiker“ definiert.

Besonders faszinierend ist die Gruppe der sogenannten „Visual Novels“ – Bildromane, die gänzlich ohne Text auskommen und allein durch die Montage von verfremdeten Fotografien Dritter narrativen Sog erzeugen. Eizenhöfer stellt ihnen die reinen Zeichnungsbücher gegenüber, die Kirkeby selbst als „Essays ohne Worte“ verstand, sowie die späten, aufwendig gestalteten Collagebücher, darunter die Serie der Feltbøger (Feldbücher), die auf Studienreisen des Geologen nach Grönland zurückgehen.

Abgerundet wird die Kartierung durch Kirkebys 17 monographische Schriften über andere Künstler. Auf sehr persönliche Art setzt sich ihr Autor hier mit kunsthistorischen Größen auseinander, etwa Picasso, Turner oder Munch. Der in der Chronologie gesponnene Faden wird dadurch so geschickt verwebt, dass der Nutzer des Hauptteils Muster erkennt. Der Bibliograph hat einen Schatz gehoben – und vorbildlich erschlossen.

Per Kirkeby: „Artist Books 1965–2017“. Annotated Bibliography. Hrsg. v. Thomas Eizenhöfer. Buchhandlung Walther König, Köln 2025. 246 S., Abb., geb., 68,– €.

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