Tāwhaki muss ein bedeutender Mann gewesen sein, jemand, der nachhaltig Eindruck hinterließ. Sonst hätten die Rongowhakaata, eine Iwi, also eine Stammesgemeinschaft der Māori, südlich von Gisborne im Osten der Nordinsel Neuseelands ihn nicht um 1880 herum in einer Pfostenfigur ihres Versammlungshauses dargestellt, vielleicht zwei Jahrhunderte nach seinem Tod. Doch dann kam im Jahr 1895 Augustus Hamilton durch die Gegend, damals stellvertretender Direktor des Dominion Museum in Wellington. Als er wieder weg war, fehlte auch Tāwhaki ebenso wie eine zweite Ahnenfigur. Hamiltons Begleiter schrieb damals in sein Tagebuch, das Haus mit den Skulpturen habe zu verfallen begonnen, was allerdings nicht zu Zeitungsartikeln passt, denen zufolge das Versammlungshaus damals aktiv genutzt wurde.
Wie auch immer, Tāwhaki – den man „Táfaki“ ausspricht – war weg. Anno 1902 ist er dann auf einer Fotografie im Verkaufskatalog eines Hamburger Händlers für exotische Artefakte zu sehen, danach verliert sich seine Spur. Erst 1965 taucht er wieder auf. Über den Antiquitätenhändler Ludwig Bretschneider erwirbt das Münchner Völkerkundemuseum die Figur für eine fünfstellige DM-Summe. Seither war der Ahn der Rongowhakaata Teil der Ozeanien-Sammlung des Hauses, das seit 2014 „Museum Fünf Kontinente“ heißt.
Tāwhaki lebte irgendwann im 17. JahrhundertMuseum Fünf Kontinente, Foto Nicolai KästnerNun ist die Pfostenskulptur des Tāwhaki der Höhepunkt einer bezaubernden Museums-Sonderausstellung, die sich ihm überhaupt erst verdankt. Alles fing damit an, dass Hilke Thode-Arora, am Museum Fünf Kontinente Kuratorin für Polynesien, mehr über die Herkunft ihrer Schätze herausfinden wollte. „Was mich umtreibt“, sagt sie, „das ist, die Objekte, die bei uns verwahrt werden, mit den Nachfahren der Hersteller oder Vorbesitzer in Verbindung zu bringen.“ Wie sich zeigte, stieß dieses Unterfangen bei den Māori-Stücken schnell an Grenzen. „Weil fast alle Objekte zwischen 1825 und 1914 in London erworben wurden, wenn ich die Kette der Vorbesitzer zurückverfolge“, erklärt Thode-Arora. „Doch der Schritt von London nach Neuseeland zu den entsprechenden Iwi, der fehlte mir.“
Aber im Fall von Tāwhaki gelang es. Anhand alter Aufnahmen konnte die Münchner Pfostenfigur als das verschollene Ahnenbildnis identifiziert werden. Dieser Erfolg gebar die Idee zu der Ausstellung „He Toi Ora“, was auf Te Reo, der Sprache der Māori, wörtlich so viel wie „Lebendige Kunst“ bedeutet. Thode-Arora fuhr zu den Rongowhakaata nach Neuseeland, durfte, was keine Selbstverständlichkeit ist, direkt im Versammlungshaus mit ihren Vertretern sprechen und konnte für das Ausstellungsprojekt den in London lebenden Juristen David Jones, einen engagierten Angehörigen der Rongowhakaata, als Ko-Kurator gewinnen. Zur Ausstellungseröffnung reisten sogar einige Mitglieder der Iwi auf eigene Kosten nach München – so groß war die Freude über den wiedergefundenen Ahnen.
Schnitzwerke als Träger von Wissen und Bewusstsein
Dabei sind neben Tāwhaki noch 79 weitere Objekte zu sehen – und auch bei ihnen geht es unter anderem darum, was man darüber weiß, wie sie nach München gekommen sind. Meist sind es handliche Gegenstände: Schmuck, Waffen, Textilien und vor allem kunstvoll geschnitzte Holzobjekte, darunter eine Anzahl Waka Huia, Behältnisse, oft in Form von Booten (Waka), in denen wertvolle Gegenstände (Huia) aufbewahrt werden, insbesondere Schmuck, der mit dem Kopf eines Häuptlings in Berührung war und daher mit einem Tabu belegt ist.
Die Waka Huia werden in München wunderbar präsentiert, wobei Thode-Arora und Jones sich auch allerhand überlegt haben, um die Besucher in die komplexe Ikonographie der Schnitzmuster einzuführen. Insbesondere an den Häusern ist „Whakairo“, Schnitzwerk, keineswegs nur Ornament, sondern auch mnemotechnisches Instrumentarium für die Weitergabe mythologischer Inhalte oder genealogischen Wissens.
Sollten solche Muster aber nicht dabei helfen können, die Kunstwerke einer Iwi oder wenigstens einer Region zuzuordnen? Ja, so etwas sei bei Schnitzwerken an Versammlungshäusern durchaus möglich, sagt Hilke Thode-Arora. „Denn da gibt es bereits viel veröffentlichte Forschung, gerade von Māori-Kollegen, aber sehr viel weniger für kleinere Objekte, die den Großteil unserer Sammlung ausmachen. Da stehen wir bei manchen noch ziemlich am Anfang.“
So manches wurde gezielt für den europäischen Markt gefertigt
Dabei verdienen auch diese kleinen Objekte einen genaueren Blick. Etwa ein riesiger sogenannter Bonito-Haken aus Holz mit knöcherner Spitze. Mit solchen Haken stellten die Māori Haien und Ölfischen nach. „Es gibt allerdings die These, dass man mit den meisten der nach Europa gelangten Bonito-Haken aus Polynesien gar nicht angeln kann, etwa weil sie dem Fischmaul und der auf Schnelligkeit eines vorbeieilenden Schwarms ausgelegten Fangmethode nicht angepasst sind“, sagt Thode-Arora. Es handele sich dann offenbar um Objekte, die eigens für Europäer angefertigt wurden. Bei zwei Kotiate, scharfkantigen Hiebwaffen aus Hartholz, aus der Münchner Sammlung ist sich die Kuratorin ziemlich sicher, dass sie für den Export an europäische Sammler verschönert wurden. „Sie sind viel zu aufwendig verziert, als dass man damit noch gekämpft hätte.“
Solche Objekte sind zwar keineswegs Fälschungen, denn sie wurden ja von Māori hergestellt, werfen aber trotzdem Fragen nach dem Begriff des Authentischen auf. „Je länger ich mich mit Ozeanien befasse“, sagt die Kuratorin, „desto mehr komme ich zu der Auffassung, dass wir in unseren Museen viele solcher als Handelsware für Europäer gedachte Objekte haben – und dass man da sehr genau hinschauen muss.“
Eine Unsicherheit bleibt in vielen Fällen trotzdem, auch bei den Waka Huia, den prächtigen Schatullen, die Thode-Arora ebenfalls nur bis zu ihrem Erwerb in London zurückverfolgen kann. „Was die uns fehlende archivalische Dokumentation angeht, kann so ein Stück damals zwei Jahre alt gewesen sein oder auch hundert“. Solche Sachlagen sind natürlich für Restitutionsdebatten nicht unwichtig – umgekehrt allerdings ebenso, wenn die Herkunft und die Bedeutung für die heute gelebte Kultur in der Gemeinschaft, aus deren Tradition ein Stück stammt, zweifelsfrei geklärt werden konnte.
So wie bei Tāwhaki. „Dafür wird von Rongowhakaata-Seite ein Restitutionsersuchen gestellt werden, und wir würden das von Museumsseite aus auch positiv begleiten“, sagt Hilke Thode-Arora. „Abgesehen davon, dass so etwas auf der politischen Ebene entschieden wird, bin ich vorsichtig mit Rückgabeempfehlungen, sofern nicht ein ganz eindeutiger Unrechtskontext beim Objekttransfer vorliegt. Neben manchen anderen Gründen auch, weil ich der Meinung bin, nicht alle Objekte müssen immer dort sein, woher sie stammen: Sie können etwa als eindrucksvolle Botschafter für ihre Kulturen am anderen Ende der Welt wirken. Aber in diesem Fall unterstütze ich ein Restitutionsersuchen, weil ich gesehen habe, welche tiefe Bedeutung Tāwhaki für die Rongowhakaata hat. Das ist etwas anderes als bei anderen Werken, von denen wir nicht wissen, woher genau und unter welchen Umständen sie zu den Vorbesitzern gekommen sind.“
He Toi Ora. Beseelte Kunst der Māori. Im Museum Fünf Kontinente, München; bis zum 10. Mai 2026. Ein ausführlicher Begleitband ist im Verlag Schnell & Steiner erschienen und kostet 35 Euro.

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