Seine im Wintersemester 1980/81 an der Universität Hannover gehaltene Vorlesung über den Wissenschaftsbegriff des Deutschen Idealismus, die als Einführung in die Philosophie konzipiert war, begann Peter Bulthaup mit Bemerkungen über das Verhältnis des Denkens zu seinem Gegenstand: „Das erste, womit … ein Student der Geisteswissenschaften konfrontiert wird, ist die Einsicht, dass es zu jedem Gegenstand, den zu erkennen ihn vielleicht reizen könnte, mindestens ein halbes Dutzend ‚Ansätze‘ gibt, die sorgfältig unterschieden werden, auch wenn sie auf die Erkenntnis derselben Sache gerichtet sind.“
Im Grunde, so Bulthaup, müssten die „Ansätze“, sofern sie Facetten desselben Objekts entfalten, auch wenn sie einander widersprechen, in der Erkenntnis ihres Gegenstands zusammenstimmen. Tatsächlich aber zeige die „zu erkennende Sache“ den Erkennenden „so viele voneinander unabhängige Seiten, wie sich ‚Ansätze‘ zu ihr erfinden lassen“.
Peter Bulthaup: „Der Wissenschaftsbegriff des Deutschen Idealismus“.zu KlampenSolche leere Vielfalt kennt keinen am Objekt ausgetragenen Dissens: „Statt in der Erkenntnis der Sache zu konvergieren, spannen die ‚Ansätze‘ ‚Ebenen‘ auf, auf denen die Sache auf jeder ‚Ebene‘ ganz anders erscheint. Die Verschiedenheit der ‚Ebenen‘ garantiert, dass die verschiedenen Ansichten der Sache nicht untereinander in Konflikt geraten, und das heißt dann Pluralismus.“ Weil er in diesem Schwund des Objektbezugs eine Selbstzerstörung des Denkens erblickt, interessiert sich Bulthaup für den Deutschen Idealismus als historisch letzten Versuch der Selbstverpflichtung des Denkens auf die Erkenntnis unteilbarer Wahrheit. Bulthaups Stärke besteht darin, dass er historisch gewordene philosophische Begriffe vor allem Hegels aus ihrer Höhenluft zurückführt in die Wirklichkeit, in der sie geprägt wurden.
Das betrifft zuvorderst die Beziehung, die der Deutsche Idealismus in seinen erkenntnistheoretischen Reflexionen zu den Naturwissenschaften unterhielt. So veranschaulicht Peter Bulthaup Georg Wilhelm Friedrich Hegels Gedanken, dass der „Anfang“ seine „Wirklichkeit“ in dem habe, „was er nicht selbst ist, dessen Anfang er aber ist“, an Einsichten über die stoffliche Beschaffenheit des Wassers in der ionischen Naturphilosophie, die Grundlage neuzeitlicher Naturwissenschaft wurden: „Das Eis entsteht durch Verdichtung aus Wasser, und das Gasförmige, nämlich der Wasserdampf, entsteht durch Verdunstung des Wassers. Doch nicht nur das Eis und der Wasserdampf entstehen nach Thales unmittelbar aus dem Wasser, sondern alles Feste und Gasförmige … hatte das Wasser als Grundstoff … alle verschiedenen Aggregatzustände, die in der Erfahrung angetroffen werden können, … waren damit auf denselben Grundstoff zurückgeführt.“
Desgleichen erläutert er die Klassifikation der Tierarten in Rekurs auf Hegels Erwägungen über die Relation zwischen Identität und Differenz: „‚Alle Tiere‘ sind kein Gegenstand möglicher Untersuchung, denn … die Zoologie beginnt erst dort, wo ‚alle Tiere‘ unterschieden werden nach Gattungen und Arten. Für die Wissenschaft sind nun die unterschiedenen Tierarten jeweils einzelne Gegenstände“, aber, so Hegel, „sie sind es nur durch die Unterscheidung; und da die Unterscheidung in das urteilende Subjekt fällt, sind sie als unterschiedene Arten im Subjekt zusammengefasst“.
In solchen Mikrostudien führt Bulthaup weiter, was er in seiner im Jahr 1973 veröffentlichten Arbeit „Zur gesellschaftlichen Funktion der Naturwissenschaften“ begonnen hatte. Er räumt mit dem positivistischen Mythos der Empirieferne der von Hegel sich bis in die Kritische Theorie fortschreibenden dialektischen Kritik auf, indem er deren verkapselten Erfahrungsreichtum entfaltet. Dabei ist seine Darstellung bei aller Dichte so gegenstandsnah und zugänglich geschrieben, dass sie auch Laieninteressierten zu empfehlen ist, für die sie dem Anspruch nach konzipiert wurde.
Peter Bulthaup: „Der Wissenschaftsbegriff des Deutschen Idealismus“. Vierzehn Vorlesungen zur Einführung in die Philosophie. Zu Klampen Verlag, Springe 2025. 192 S., br., 24,– €.

vor 2 Tage
5






English (US) ·