Patrick Mariathasan / DER SPIEGEL
Auf diesen Maßstab für Politik müsste man sich doch eigentlich einigen können: Sie sollte die Leute nicht für dumm verkaufen. Sie nicht verschaukeln, veräppeln, verhohnepiepeln. Wenn man sich auf diesen sehr einfachen Maßstab einigen kann, dann fällt das Verbrenner-Aus-Aus glatt durch.
Schon seit Jahrzehnten regelt die EU, wie viel CO₂ die Autoflotten insgesamt ausstoßen dürfen. Der Wert sank langsam, in den nächsten Jahren soll er rasch fallen.
Die Rechnung ist leicht: 2050 muss die EU klimaneutral sein. Der geplante Emissionshandel 2 würde sogar schon um 2040 herum die Emissionen im Verkehr auf null bringen. Weil ein Auto im Schnitt 17 bis 18 Jahre lang gefahren wird, müssen schon früher nur noch klimaneutrale Autos neu zugelassen werden.
Die EU hat sich auf 2035 geeinigt und den Flottengrenzwert dann auf null gesetzt. Für neue Diesel und Benziner ist dann de facto kein Platz mehr.
Söder an der Spitze der Bewegung
Dagegen liefen zunehmend Industrie, Konservative und Liberale Sturm, immer mit dem Argument, man müsse der Industrie helfen. Friedrich Merz, heute Kanzler, zog damit in den Wahlkampf. Und Bayerns Ministerpräsident, CSU-Chef Markus Söder, tuckerte mal wieder an die Spitze der Bewegung: »Das EU-Verbrennerverbot 2035 gefährdet Hunderttausende Arbeitsplätze.«
Manchmal, da ging es schon los mit dem Verschaukeln, klang es so, als sei eine Regel, die erst in einem Jahrzehnt wirksam wird, für die Krise der Autoverkäufe in der Gegenwart verantwortlich.
Nun hat die EU-Kommission einen Vorschlag gemacht. Es gibt allerhand bedeutsame Details darüber hinaus, aber im Kern sieht er vor, dass die Autohersteller bis 2035 ihre Flottenemissionen nicht um 100 Prozent senken müssen, sondern nur um 90 Prozent, gemessen am Jahr 2021.
Das ist schon ein ziemliches Zugeständnis. Gerade erst hat die EU minus 90 Prozent Gesamtemissionen bis 2040 als Ziel ausgegeben. Die Spielräume sind einfach nicht sehr groß. Dafür ist die Klimakrise zu drängend, hat die Welt zu lange getrödelt.
Der Hochlauf der Elektromobilität bleibe alternativlos, »gerade zur Erreichung der deutschen und europäischen Klimaziele«, hatten ja auch Söder und Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Olaf Lies im Oktober in einem Gastbeitrag im Handelsblatt geschrieben. Aber: »Bei den Zielen ab 2035 brauchen wir mehr Flexibilität. 100 Prozent reine Elektromobilität 2035 ist nicht mehr realistisch«.
Diese Flexibilität wird es nun geben. Alles gut also? Sind die Hunderttausenden Jobs nun gerettet?
Am großen Bild ändert sich nichts
Lucien Mathieu vom ökologisch orientierten Lobbydachverband »Transport and Environment« hat vorgerechnet , was die neue Regel wohl etwa bedeuten würde. Er rechnet mit im Schnitt noch 11 Gramm CO₂ pro Kilometer, die dann noch erlaubt sind. Die sind ein Durchschnittswert. Neben vielen E-Autos können dann noch wenige sehr schmutzige Verbrenner verkauft werden oder deutlich mehr sauberere Hybride.
Sind es »Range Extender«-Pkw, also Elektroautos mit kleinem Verbrennungsmotor, der die Batterie laden und so den Weg zur nächsten Tankstelle verlängern kann, wären es sogar rund 50 Prozent der Neuwagen. Aber solche Autos spielen in Europa bisher kaum eine Rolle. Sind es schwere Diesel oder Benziner, sind es nur noch 5 Prozent. Nimmt man eine Mischung an und eine Dominanz von Hybriden, wird man wahrscheinlich zwischen zehn und 25 Prozent landen, die noch einen Verbrennungsmotor haben.
Das ist nicht nichts, und aus Sicht des Klimaschutzes, der sowieso ständig zu wenig und zu langsam schafft: ein echtes Problem.
Aber aus Sicht der Industrie heißt das: Der europäische Verbrenner-Markt schrumpft statt auf null auf bestenfalls ein Viertel, eher weniger oder deutlich weniger.
Albert Waas leitet den Auto-Sektor der Unternehmensberatung BCG in Europa und sagt: »Die Wertschöpfung der deutschen Hersteller und Zulieferer am Auto wird weiter zurückgehen.« In der Batterietechnik spiele Deutschland keine große Rolle, und die sei nun mal das teuerste Teil am E-Auto. Chinesische Hersteller drängen auf den Markt. Und die neuen Pläne der Kommission? »Die geben der Branche ein klein bisschen mehr Zeit, sich anzupassen, aber sie ändern das große Bild nicht«, glaubt er.
Tatsächlich arbeiten bei Zulieferern Hunderttausende Menschen – aber wie die kleine verbleibende Hybridflotte in 2035 all diese Jobs bewahren soll, hat noch niemand vorrechnen können.
Ein paar Unternehmen werden übrig bleiben, gut verdienen. »Last Men Standing«, nennen das Analysten. Ein paar Jahre fließt noch etwas Geld aus dem Altgeschäft in die Transformation, die nicht so schnell vorangeht, wie erhofft. Wenn man das erreichen wollte, könnte und müsste man zufrieden sein.
Allein: Der große Jubel bleibt aus. Im Gegenteil, die Kritik ist mitunter scharf, beispielsweise vom Branchenverband VDA. »Brüssel enttäuscht mit seinem vorgelegten Entwurf«, sagte dessen Präsidentin Hildegard Müller. Oder von der Chefin des Wirtschaftsflügels der Union, Gitta Connemann: »Brüssel muss dringend nachsteuern.«
Der erweckte Eindruck war falsch
Klimaschutz stehe außer Frage, dem E-Auto gehöre die Zukunft, nur das Verbrennerverbot müsse weg, so lautete die politische Forderung. Nun soll es so kommen – und es zeigt sich, was man schon lange wissen konnte: Die Probleme der Autoindustrie haben im Großen nur wenig mit dieser einen Regel zu tun.
Sie haben etwas damit zu tun, dass Verbrennern nicht die Zukunft gehören kann, wenn es eine lebenswerte und freiheitsfreundliche Zukunft geben soll.
Damit, dass E-Autos auch einfach Spaß machen, dass sie allerdings weniger Teile benötigen, die deutsche Zulieferer oft in Perfektion herstellen.
Damit, dass aus China mittlerweile mit die modernsten Autos kommen und dort weniger deutsche Fahrzeuge gekauft werden.
Damit, dass die USA sich abschotten und den Welthandel angreifen.
Und damit, dass Europas Verbraucher seit der Pandemie und der russischen Invasion in der Ukraine und dem Gaspreisschock knapper bei Kasse sind.
Der erweckte Eindruck war falsch.
Es kann natürlich sein, dass es nie um etwas mehr Flexibilität ging, nicht um »Technologieoffenheit«, sondern darum, die Transformation grundsätzlich anzugreifen. Klimaziele abzuschaffen oder auszuhöhlen. Das allerdings wäre dann unehrlich in einem noch viel größeren Maß, die absolute Verhohnepiepelung der Öffentlichkeit auf Kosten der künftigen Freiheiten.
Und was macht man jetzt mit einem politischen Projekt, mit dem man sich so oder so verschaukelt vorkommen kann? Mit einem Vorschlag, der noch durch EU-Parlament und Rat muss und den Vertreter von CDU, CSU und Industrie unbedingt noch weiter aufbohren wollen, und der Klimaschützer entsetzt?
Branchenkenner Albert Waas von BCG sagt: »Planungssicherheit ist das Wichtigste für die Industrie. Mit einer verbindlichen Umsetzung des Kommissionsvorschlags wäre diese bis 2035 gegeben.«
Also am besten nicht noch weiter Verunsicherung stiften.
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Abgase eines Verbrenners: »Brüssel muss dringend nachsteuern«
Foto: Robert Michael / dpaBleiben Sie zuversichtlich!
Ihr Jonas Schaible,
Redakteur im Hauptstadtbüro

vor 2 Tage
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