»Tatort: Ein guter Tag/Schwarzer Schnee«: Über Ostfriesland zieht ein Schneesturm auf

vor 2 Tage 4

Wird über die Verbreitung von Kokain gesprochen, heißt es stets ein wenig nebulös, die Droge sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen . In diesem »Tatort« sieht das dann konkret so aus: Es beugt sich der ehrenwerte Stadtdirektor von Emden in seinem Büro über den Schreibtisch, um das weiße Pulver direkt mit der Nase von der Holzplatte zu saugen. Die Weiße Lady, das Sprechsalz, kurz: der Schnee, hat also offenbar auch Ostfriesland fest in der Hand.

Der Stadtmanager plant gerade eine große Nummer, das Health Center Emden. Eine Firma aus Holland hat ihm ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen kann. Um dem Angebot Nachdruck zu verleihen, schickt die Firma als Päckchen verpackt eine Handgranate zu ihm nach Hause, wo sie von der kleinen Tochter in Empfang genommen wird.

Dieser »Tatort« verleiht der These der Megaverbreitung des Kokains und der dazugehörigen komplexen kriminellen Vertriebswege schon durch seine Megaausmaße Nachdruck: Er kommt als Doppelfolge von fast 180 Minuten Länge daher.

 Verschickt gern Handgranaten, um sich in Erinnerung zu bringen

Gangster Saidi (Yasin El Harrouk): Verschickt gern Handgranaten, um sich in Erinnerung zu bringen

Foto: Georges Pauly / NDR

Der Bundespolizist Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) kurvt hier endlos durchs friesische Grenzgebiet, nachdem auf einem Campingplatz nahe Groningen ein Deutscher entführt worden ist. An seiner Seite hat er die niederländische Drogenermittlerin Lynn de Baer (Gaite Jansen), die in Extremsituationen handgreiflich wird, und den Cyber-Ermittler Mario Schmitt (Denis Moschitto).

Die »Mocro-Mafia« expandiert

Es ist ein dichtes Geflecht an Firmen und Abhängigkeiten, an dem sich das Ermittlertrio abarbeitet. Im Zentrum steht Karim Saidi (Yasin El Harrouk), der Sohn eines im Knast einsitzenden Mafiapaten. Der Junior gab sich früher damit zufrieden, mit Gold überladene Gangster-Rap-Videos zu drehen, jetzt aber nutzt er Papas Abwesenheit dazu, ein eigenes Imperium aufzubauen und dabei von Groningen über die Grenze nach Emden zu expandieren. Ein erster Schritt: In dem angelieferten Baumaterial für das Health Center Emden hat er Koks versteckt.

Der patent aufgepumpte Falke-»Tatort« erzählt von dem Einfluss, den die sogenannte Mocro-Mafia über verschiedene Kanäle in Deutschland ausübt. Der Plot bezieht unter anderem Recherchen des SPIEGEL  ein. »Mocro« ist in den Niederlanden ein Slangwort für Marokkaner. Inzwischen hat sich der Begriff zu einem Synonym für organisierte Drogenkriminalität entwickelt. Viele der konkurrierenden Gruppierungen sind arabisch geprägt; so auch diese im »Tatort«, wo auffallend viele Falafel zu den typisch holländischen Frietjes serviert werden.

Vor fünf Jahren zeichneten bereits zwei aufeinander aufbauende »Tatort«-Folgen aus dem Ruhrgebiet und aus München Struktur, Ausbreitung und politische Einflussnahme der italienischen 'Ndrangheta nach. An die Komplexität der beiden alten Folgen reicht das neue Falke-Doppel (Buch: Alexander Adolph, Eva Wehrum, Regie: Hans Steinbichler) nicht ganz heran. Zuweilen sind die Gangsterfiguren arg auf Klischee gebürstet. Im ersten Teil geht es noch ein wenig unübersichtlich zwischen Knästen, Campingplätzen und barocken Mafia-Eigenheimen hin und her. Im zweiten Teil, der im linearen Programm ab 21.45 Uhr ausgestrahlt wird, bekommen die Charaktere aber eine gewisse Schärfe und die Handlung gewinnt an Zug – und wohl aufgrund der dann geltenden lockeren Jugendschutzbestimmungen auch an Brutalität.

In einer späten Szene hat der Papp-Pate Saidi sein leicht überfrachtet dekoriertes Eigenheim sorgfältig mit Plastikfolie ausgelegt, um einem verdeckten Ermittler Folter und Tod androhen zu können, ohne Angst haben zu müssen, dass bei Vollzug die teure Einrichtung Schaden nehmen könnte. Das Wochenende endet also mit schönen Wohnimpressionen und blutigen Exzessen.

Ein Schneesturm ist über Ostfriesland aufgezogen. Und die Conclusio dieses dramatisch endenden »Tatort« lautet: Er wird so schnell nicht abziehen.

Bewertung: 8 von 10 Punkten

»Tatort: Ein guter Tag/Schwarzer Schnee« (Doppelfolge), Sonntag, 20.15 Uhr und 21.45 Uhr, Das Erste

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